Ist Mehrweg besser als Einweg?
Die geplante EU-Mehrwegquote hat zu vielen Diskussionen in der Papierindustrie geführt. Jule Ramke, Nachhaltigkeitsmanagerin der PKV, erklärt Für und Wider der neuen Verpackungsverordnung.
Die Europäische Kommission hat Ende 2022 den Entwurf für eine Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (EU-VerpackVO) veröffentlicht. „Die neue Verordnung soll die bisherigen Richtlinien über Verpackungen und Verpackungsabfälle ersetzen und strebt damit eine EU-weite Vereinheitlichung von Verpackungsvorschriften an“, fasst Jule Ramke das Grundanliegen der neuen Verordnung zusammen. Als Nachhaltigkeitsmanagerin der PKV hat sich Jule Ramke intensiv mit den Details der Entwürfe auseinandergesetzt.
Zentral für die neue Verpackungsverordnung ist:
- Alle Verpackungen sollen bis zum Jahr 2040 grundsätzlich um 15 Prozent reduziert werden.
- Das Gewicht, Volumen und der Leerraum von Verpackungen werden dabei auf das erforderliche Minimum reduziert.
- Ab 2030 dürfen keine Verpackungen mehr in Verkehr gebracht werden, wenn sie nicht ein bestimmtes Mindestmaß an Recyclingfähigkeit erreichen.
- Für den Onlinehandel und bestimmte Um-, Versand- und Transportverpackungen (u.a. für Obst und Gemüse) gelten strikte Mehrwegquoten.
Mehrwegquoten als Widerspruch?
Jule Ramke hält die Neuausrichtung der Verpackungsverordnung für grundsätzlich sinnvoll: „Insbesondere für EU-Länder deren Kreislaufwirtschaft noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie es in Deutschland der Fall ist.“ Die Expertin für Nachhaltigkeitsstrategien gibt allerdings zu bedenken, dass die Forderung nach verpflichtenden Quoten von Mehrwegverpackungen dazu führe, dass recycelter Kunststoff zum Einsatz komme. „Denn oft werden wiederverwendbare Verpackungen aus Plastikrezyklaten hergestellt und somit wird Plastik zu einem wertvollen Rohstoff gemacht, obwohl dieses im Vergleich zu Papier, Pappe und Karton (PPK), die aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, eine sehr viel schlechtere Ökobilanz aufweist.“
Rund 60 Prozent der Produkte, die aus der gesamten deutschen Papierproduktion hervorgehen, sind Verpackungspapiere.* Verpackungen, die aus nachhaltig gewonnenen, nachwachsenden und wiederverwertbaren Rohstoffen hergestellt werden. „Viele dieser recyclebaren Verpackungen aus PPK könnten durch Kunststoffverpackungen ersetzt werden, da PPK-Verpackungen nicht als Mehrwegprodukt eingestuft werden“, erklärt Jule Ramke die Auswirkungen der neuen Verordnung auf die Papierindustrie. „So eine Entwicklung wäre dann überhaupt nicht sinnvoll und stünde im Widerspruch zum Aktionsplan der EU zur Kreislaufwirtschaft.“
Wiederverwertbarkeit statt Wiederverwendung
Im Unterschied zu PPK-Verpackungen, dessen Papierfasern bis zu 25x wiederverwertet werden können, verbraucht die Herstellung von Mehrwegverpackungen aus anderen Materialien erheblich mehr fossile Ressourcen und deren Recyclingquote ist auch deutlich schlechter. Faserbasierte Verpackungsprodukte übertreffen schon jetzt den angestrebten Produktlebenszyklus. Jule Ramke konkretisiert: „Das bedeutet in Zahlen, dass Verpackungen aus PPK in Europa eine Recyclingquote von 84 Prozent, in Deutschland sogar von 89 Prozent, haben, während Kunststoff eine Quote von 62 Prozent aufweist.“ *
Mehrwegverpackungen führen außerdem zu einem hohen logistischen Zusatzaufwand. Die Verpackungen müssen zu den Händlern zurückgebracht, gelagert und aufwendig gereinigt werden, insbesondere wenn Hygienevorschriften und spezielle Produktsicherheit beachtet werden müssen. Das Resultat sind zusätzliche CO₂-Emissionen. „Kunststoffverpackungen müssen mindestens 63x wiederverwendet werden, um weniger Co₂-Emissionen als recycelte Wellpappen-Verpackungen zu verursachen“, verweist Jule Ramke auf eine auf mehreren Studienergebnissen basierende Zusammenfassung der FEFCO (Europäischer Verband der Wellpappenhersteller).** „Bei Einführung einer zehnprozentigen Mehrwegquote im Onlinehandel wären ca. 500 Millionen Kunststoffboxen notwendig.“ Die Nachhaltigkeitsmanagerin hält eine pauschale ökologische Vorteilhaftigkeit von Mehrwegverpackungen gegenüber wiederverwertbaren Verpackungen aus PPK in Anbetracht dieser Analysen für sehr fraglich.
Differenzierung ist gefragt
„Die Förderung von Mehrwegverpackungen ist in vielen Fällen ein richtiger Schritt. Die Neuausrichtung sollte aber nur dort erfolgen, wo Mehrwegverpackungen nachweislich den Zielen der Verordnung dienen“, betont Jule Ramke. Außerdem bemängele die PKV, dass die Entscheidung zu Mehrweg- oder Einweg-Recycling nicht durch den Markt im Einzelfall, sondern durch gesetzliche Regulierung getroffen werde, die im Zweifel nie nah genug an der Realität sei. „Als ausschließlich Altpapiernutzendes Unternehmen finden wir daher“, so Jule Ramke, „dass Mehrwegverpackungen und PPK-Einwegverpackungen sich ergänzende Wege zur Erreichung einer funktionierenden bzw. erweiterten Kreislaufwirtschaft sind und innerhalb der angestrebten Verpackungsverordnung gleichgestellt werden müssen.“
Jule Ramke fasst die Position der PKV deutlich zusammen: „Als Unternehmen, das seit jeher Wert auf eine ressourcenschonende und energieeffiziente Produktion legt, sind wir Befürworter einer neuen EU-Verpackungsverordnung zur Förderung einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft. Aber die ausschließliche Förderung des Einsatzes von Mehrwegverpackungen entspricht nicht unseren Maßstäben von Nachhaltigkeit. Insbesondere dann nicht, wenn PPK-Einwegverpackungen durch durchgeführte Ökobilanzen nachgewiesene Umweltvorteile aufweisen. Wir erwarten, dass aufgrund der von Seiten der Deutschen Papierindustrie vorgebrachten Einwände, sinnvolle Nachbesserungen vorgenommen werden.“
Erster Teilerfolg im Europäischen Parlament
Einen ersten Erfolg kann die Deutsche Papierindustrie bereits vermelden: Das Europäische-Parlament hat sich in seiner letzten Sitzung im November 2023 dafür ausgesprochen, bestehende, gut funktionierende Kreislaufsysteme zu schützen und das etablierte System des Wertstoffkreislaufs von Papier, Pappe und Karton als gleichwertig zu Mehrwegverpackungen anzusehen. Nun bleibt abzuwarten, ob auch der Ministerrat diese richtungsweisenden Beschlüsse übernimmt und welche Standpunkte dieser in den nächsten Wochen verabschiedet, ehe es zu den finalen Verhandlungen der neuen EU-Verpackungsverordnung mit der Europäischen Kommission kommt.
Quellen (soweit nicht schon verlinkt):
*UBA-Abschlussbericht 2022, S. 145; DIE PAPIERINDUSTRIE, Februar 2023
**FEFCO Position on PPWR, Februar 2023; DIE PAPIERINDUSTRIE, Februar 2023